Kategorie: Online-Marketing


Letzte Aktualisierung: 23.09.2019


Gastartikel von Louisa Flocke (FH Mainz)

Die Analyse der Customer Journey, ein eigentlich altbekannter Begriff, gewinnt im Online Marketing derzeit rasant an Bedeutung und gilt quasi als Königsdisziplin. Kaum ein Schlagwort wird in der gesamten Brache so heiß diskutiert und viele Agenturen und Werbetreibende setzen sich intensiv damit auseinander, wie man am besten die "Reise des Kunden" erfassen kann, um Zielgruppen genau dort abzuholen, wo sie sich befinden, und Budgets gezielt in diese bestimmten Kanäle zu steuern.

In meiner Masterarbeit an der FH Mainz habe ich mich mit der Customer Journey Analyse (CJA) im Online Marketing auseinandergesetzt und sowohl die Möglichkeiten und Grenzen als auch den Status Quo in der Praxis mittels Experteninterviews untersucht und bewertet. Dieser Blogartikel fasst die wichtigsten Erkenntnisse der Arbeit zusammen.

Was steckt hinter dem Begriff Customer Journey Analyse?

Der Begriff Customer Journey ist aus dem klassischen Marketing schon relativ lange bekannt. Er bezeichnet die "Reise" eines potenziellen Kunden über verschiedene Kontaktpunkte (sog. Touchpoints) mit einem Produkt bzw. einer Dienstleistung, einer Marke oder einem Unternehmen, von der Inspiration und Bedürfnisweckung, über die Informationsbeschaffung und Suche bis hin zur finalen Zielhandlung. Die finale Zielhandlung kann dabei z.B. ein Kauf, eine Newsletter-Anmeldung oder eine Anfrage sein.

Im Online Marketing stammt der Begriff Customer Journey aus dem E-Commerce, genauer gesagt aus dem erfolgsbasierten Performance Marketing. Bezeichnungen wie User Journey, Consumer Journey, Path to Conversion und Werbemittelnutzungspfad werden häufig synonym zu Customer Journey genutzt, da diese teilweise schwer voneinander abzugrenzen und stark verwandt sind.

Bei der Customer Journey Analyse steht das Nachverfolgen des Kundenpfades im Internet im Vordergrund, um herauszufinden, welches Werbemittel welchen Beitrag zum Kauf eines Produkts leistet. Die Kenntnis dieser Informationen kann werbetreibende Unternehmen dabei unterstützen, ihre Marketing-Maßnahmen gezielt auf jene Kanäle zu verteilen, die in der entsprechenden Phase am effektivsten und effizientesten sind.

Die einzelnen Bestandteile des Ansatzes der Customer Journey Analyse sind nicht fest definiert und variieren im Zusammenhang mit den jeweiligen Software-Anbietern und Agenturen. Bisher gibt es keine allgemeinen Standards zur Methodik und die meisten Dienstleister haben ihre eigenen, ganz individuellen Lösungen entwickelt und mit dem Label "Customer Journey Analyse", "Customer Journey Tracking", "Cross-Channel-Tracking" oder "Multi-Channel-Tracking" versehen.

Ziele der Customer Journey Analyse

Das Ziel einer Customer Journey Analyse ist nicht nur, Konsumentenverhalten und Kaufentscheidungsprozesse transparent zu machen, sondern auch den Einfluss der einzelnen Marketing-Maßnahmen auf die definierte Zielhandlung (z.B. Kaufabschluss) zu beurteilen, um darauf aufbauend Optimierungspotenziale auszunutzen.

Wirkungen und Wechselwirkungen von Kampagnen und Kampagnenelementen sollen erfasst werden, um Synergien und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Kanälen und Kontaktpunkten aufzudecken und darauf aufbauend Werbe- und Mediabudgets effizienter einzusetzen. In der Idealvorstellung würde jedem Marketing-Kanal nur so viel Budget zugeschrieben, wie er zum Zustandekommen der Konversion beiträgt.

Welches Attributionsmodell ist das Richtige?

Im Zusammenhang mit der CJA bezeichnet die Attribution die Zuordnung eines Wertes zum jeweiligen Werbemittel und Kanal. Es geht darum den Beitrag zu ermitteln, den ein bestimmter Touchpoint während der Customer Journey zum Zustandekommen der Konversion geleistet hat.

Grundsätzlich kann man zwischen statischen und dynamischen Attributionsmodellen unterscheiden. Statischen Attributionsmodellen ist gemein, dass eine Vorab-Festlegung von definierten Regeln stattfindet. Sie werden standardisiert angewendet und es werden in der Regel keine individuellen Faktoren einbezogen. Ihren Ursprung haben derartige Attributionsmodelle im Performance-orientierten Affiliate-Marketing, wo der Erfolg einer Kampagnenleistung meist dem letzten Klick zugeordnet wird ("Last Cookie wins") und das Werbemedium bzw. der Affiliate, der zuletzt das Cookie gesetzt hat, eine Provision erhält.

Heute gelten die statischen Modelle in vielen Situationen als zu einfach und ungenau, da sie die Realität und Komplexität von Kaufentscheidungsprozessen kaum abbilden können und gewissen Annahmen unterliegen. Um dem ganzheitlichen Customer Journey Gedanken näher zu kommen und eine realistische Werbewirkungsbewertung durchführen zu können, werden zunehmend dynamische kundenspezifische Modelle eingesetzt, die den tatsächlichen Einfluss der einzelnen Werbeträger analysieren und individuelle Faktoren mit einbeziehen.

Wichtig ist aber auch bei den dynamischen Modellen immer im Hinterkopf zu behalten, dass auch damit nicht die gesamte Realität erklärt werden kann. Mit Hilfe der Modelle können sich Werbetreibende zwar dem Ursache-Wirkungsschema ihrer Kampagnen und Kanäle nähern und in der Konsequenz eventuell auch effizienter werden, ein exaktes Abbild der Realität liefern sie jedoch auch nicht und es fließt immer viel Interpretationsspielraum ein.

Herausforderungen und Grenzen einer Customer Journey Analyse

Den Möglichkeiten und Potenzialen einer CJA stehen in der Praxis noch einige Problemfelder und Restriktionen gegenüber. Die folgende Abbildung zeigt die wichtigsten Herausforderungen und Grenzen in einer Übersicht.

 

Die Customer Journey Analyse in der Praxis

 

Um den Status Quo der CJA in der Unternehmenspraxis zu erheben, wurden im Rahmen der Arbeit neun Experteninterviews durchgeführt. Damit die Ergebnisse aus den Interviews nicht nur homogen eine Interessensseite darstellen, wurden jeweils drei Experten drei verschiedener Seiten befragt: Anbieter, werbetreibende Unternehmen und allgemeine Online-Experten. Die wesentlichen Erkenntnisse aus den Interviews sind die Folgenden:

(1) Die wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche CJA ist die technische Integration, die Verwendung geeigneter Tools und das damit einhergehende technische Know-how.

(2) Das Thema Personal und Know-how ist heute noch eine große Herausforderung. Vor allem auf Unternehmensseite fehlt es an Analysten und Cross-Channel Marketern mit den richtigen Qualifikationen für eine tiefgreifende Analyse.

(3) Die CJA ist kein einmaliges Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess.

(4) Beim Thema Offline-Integration wird noch viel experimentiert. Hier gibt es noch großen Handlungs- und Optimierungsbedarf.

(5) Eine CJA ist sehr aufwändig und bindet viele Ressourcen in Kapital, Zeit und Personal.

(6) Die CJA lohnt sich vor allem bei komplexen Journeys mit vielen Touchpoints und einem breiten Online Marketing-Mix.

(7) Eine CJA macht insbesondere für E-Commerce Unternehmen Sinn bzw. Unternehmen, die eine Antrags- oder Buchungsstrecke online haben.

(8) Als relevante Branchen werden vor allem Retailer, Fashion-Anbieter, Telekommunikationsanbieter, Tourismus, Versicherungen und Banken genannt.

(9) Cookie-Löschungen und Device-Wechsel sind Schwachstellen, bei denen die Technologie noch nicht ausreichend funktioniert. Hier können Messfehler zu einer Missinterpretation führen.

(10) Die E-Privacy Richtlinie stellt ein Risiko dar, welches, sollte es zu einer Gesetzesänderung, die ein explizites Opt-in für Tracking-Cookies erforderlich machen würde, zu einem Show Stopper für die CJA werden könnte.
(Anmerkung: Laut DSVGO muss eigentlich schon eine explizite Einwillung für Trackingdienste vorliegen, jedoch wird das auf den wenigsten Seiten so umgesetzt)

Fazit

Viele Unternehmen sind den Herausforderungen der kanalübergreifenden Wirkungsmessung noch nicht gewachsen. Neben den technischen Voraussetzungen fehlt es hier insbesondere an Know-how. Auch die Aufklärungs- und Beratungsleistung der Tool-Anbieter ist durchaus noch verbesserungsfähig. Es sollte nicht darum gehen, intellektuelles Kapital mit technisch und analytisch hochkomplexen Black-Box-Modellen zu schaffen, sondern Definitionen und Standards zu entwickeln, die eine Transparenz der Methodik ermöglichen. Von der Standardisierung ist der Markt momentan noch weit entfernt. Es wird zukünftig darum gehen, aktiv und objektiv Aufklärungsarbeit zu leisten und werbetreibenden Unternehmen neben den Chancen und Potenzialen auch die Herausforderungen und Grenzen einer solchen Analyse aufzuzeigen.

Zum Gastautor

Louisa Flocke hat im Februar 2013 ihr BWL-Master-Studium an der FH Mainz erfolgreich abgeschlossen.


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Unser Themen-Blog rund um das Thema "Digitalisierung und Digitale Transformation“

Die Digitalisierung überrennt Gesellschaft, Unternehmen und jeden Einzelnen von uns mit unvorstellbarer Dynamik und Wucht. Während manche Auswirkungen in unserem Alltag sichtbar und spürbar sind, bleibt vieles andere vage und im Verborgenen. Das Bild eines Eisbergs beschreibt diese Situation treffend. Wir sehen v. a. das, was über der Wasseroberfläche zu erkennen ist. Das jedoch, was unterhalb des Wasserspiegels verbleibt, ist weitestgehend unbekanntes Land. Dieses unbekannte Land greift das Blog „Ereignishorizont Digitalisierung“ auf. Es geht um Neuland-Missverständnisse, Gar-Nicht-So-Weit-Weg-Zukunftsfantasien und What-the-Fuck-Momente. Sicher selektiv. Immer auch subjektiv! Besondere Zielgruppe sind Entscheider und Gestalter der Digitalisierung und Digitalen Transformation.


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