Kategorie: KMU


Gastartikel von Anja Mutschler, NIMIRUM

(weder verwandt noch verschwägert mit dem Betreiber des Blogs :-)

Ein Trend ist eine Strömung, die neu ist – und nicht selten das Gegenteil eines vorigen Trends. Eine Gesellschaft, die sich, wie wir heute, als nachhaltig(er), transparent(er) und partizipatorisch(er) bezeichnet, setzt sich von jener älteren ab, die konsumorientiert(er), verschwiegen(er) und elitär(er) orientiert war. Zumindest aus heutiger Sicht. Trendsetter betreiben heute foodsharing und nutzen Facebook auch politisch. Trendkritiker verweisen im Gegenzug auf die Nachhaltigkeit des großelterlichen Lebens und auf das Netz als Sinnbild des griechischen Marktplatzes (Agora). In einem anderen Gewand gab es fast jeden Trend schon einmal.

Ein Trend entsteht dann, wenn technisch-wissenschaftliche oder politisch-gesellschaftliche Möglichkeiten auf ein Bedürfnis nach dieser Möglichkeit treffen. Dieses Bedürfnis kann ein Zwang sein (Rauchen=ungesund), Notwendigkeit (Emanzipation=wichtig) oder auch Sehnsucht (freies Internet=richtig). Ein Trend unterscheidet sich vom kurzlebigen Hype in seinem Drang zu Etablierung, seiner Langlebigkeit und daraus folgend der Tatsache, dass das Trendthema immer breiter und differenzierter diskutiert wird. Der Erfolg eines Trends erweist sich sozusagen in seiner Fähigkeit, sich zu verästeln.

Weniger Elfenbeinturm, mehr Wikipedia-Feeling

Wissen ist derzeit ein Trend, Diskussionen um mehr wissenschaftlichen Output beweisen das auf der einen Seite, der Ruf nach wissensbasierter Kommunikation wie beim Content Marketing beweist es auf der anderen Seite.

Wissen wollten die Menschen immer schon. Wissen ist Macht.* Wissen ist das beruhigende Gefühl, eine Sache nicht ungefähr, sondern genau erfasst zu haben. Wissen über einen (beruflichen) Fachbereich zu besitzen, macht meine Arbeit besser und mich zufriedener. Der derzeitige Trend dreht sich vor allem um die Öffnung dieses Wissens: weniger Elfenbeinturm und mehr Wikipedia-Feeling; weniger Schwurbel, mehr Impact; weniger Selbstreferentialität, mehr Transparenz; weniger Elitismus, mehr Partizipation. Es geht um eine Mobilisierung von Wissen, um Wissen, das flexibler wird.

Transparenz und Partizipation sind zugleich Meta-Trends, also Trends von Trends. Meta-Trends bestimmen Trend-Debatten wesentlich, legen Begrifflichkeiten zugrunde. In diesem Fall: Wissen und Schwarmintelligenz, Wissensökonomie und Wissenstransfer oder Wissenschaft und Wikis. Wissen, so das neue Credo, gehört uns allen. Wissen wird gleichzeitig auch zur Kennzahl im Wirtschaftsindex eines Landes. Wissen, so hört jeder Arbeitnehmer, muss jeder Einzelne von uns besitzen. Gemeint ist dann: Tiefenwissen nicht Google-Wissen.

Experten wissen: man muss Relevanzen erkennen, Verbindungen ziehen

Die Wissensbeschaffung bleibt anstrengend. Hinter dem echten Wissen-Haben liegt eine lange Wegstrecke peniblen, gründlichen Lernens. Es bedarf Zeit, bis man fundiert einschätzen kann: Ist das wichtig, was ich gerade lese? Ist diese Quelle valide? Jene noch aktuell? Ist die Debatte, der ich lausche, hanebüchen oder richtungsweisend? Weiß ich wirklich Bescheid? Kann ich Relevanzen erkennen, Verbindungen ziehen? Im Übrigen auch zwischen Zahlen und Fakten, den so genannten (leicht nachlesbaren) Informationen zu einem Sachverhalt. Alleine stehen sie für nichts. Und all dieses Wissen muss aktuell bleiben, denn das Wissen auf dieser Welt verdoppelt sich alle fünf Jahre.

Wenn Sie all diese Fragen übrigens mit "Ja" beantworten, sind Sie ein Experte. Sie können mit Fug und Recht behaupten, dass man Sie in Ihrem Fachbereich alles fragen kann, und Sie können schnell und gründlich antworten. Glückwunsch!** Mit größter Wahrscheinlichkeit jedoch sind Sie ein (unabhängiger) Wissenschaftler oder Branchenkenner, ein Wissensarbeiter also, der mit Wissen sein Geld verdient. Kein Projekt- oder Konzeptmitarbeiter, kein Angestellter, dessen Job es ist, kreative oder strategische Entscheidungen zu treffen. Als Experte diskutieren und erweitern Sie laufend Ihr Wissen – mit anderen Branchenkennern und Wissenschaftlern. Vielleicht schreiben Sie Fach-Texte über Ihr Wissen oder halten Fach-Vorträge. Und wenn Sie Ihre alte Schulfreundin anruft, werden Sie ihr wahrscheinlich gern erzählen, was sie wissen will. Sie transferieren Ihr Wissen im beruflichen Kontext an verwandte Wissensträger und geben es ansonsten weiter: nach Bedarf und Neigung.***

Wir wissen, dass wir viel wissen müssen, aber wir wissen nicht wie

Diese Gruppe der Experten allein machen aber noch keine, den Zeiten angepasste Wissensgesellschaft, denn der Zugang zu ihrer Expertise über das Fach-Publikum hinaus bleibt zufällig. Diesen Zugriff kalkulierbarer, zuverlässiger und transparenter gestalten, das Wissen verständlich und schnell dorthin zu transferieren, wo es gebraucht wird, das ist die Herausforderung der heutigen Wissensgesellschaft: eine Gesellschaft, die verständlich und inhaltsreich miteinander kommunizieren möchte, die informiert statt umworben sein will.

Übrigens: Hätte man einen Experten aus der Soziologie oder Ökonomie gefragt, er hätte uns schon vor dreißig Jahren sagen können, dass eine transparente, auf echte Teilhabe angelegte Wissensgesellschaft kommen wird. Eine Gesellschaft, in der man immer neu wissen lernt und mit Wissen Geschäfte macht. Die Wissenschaft diskutiert schon seit den 1960ern in sich immer weiter differenzierten Debatten über den Begriff der Wissensgesellschaft; die breite Öffentlichkeit ungefähr seit der Jahrtausendwende, als NGOs und Parteien das Thema aufgriffen. Der Umbau zur postindustriellen Gesellschaft war damals endgültig und eine neue Definition, den Zeiten angepasste soziologische Kategorie wurde nötig. Dazu kam die technologische Revolution, das Internet für die Masse – zu Beginn ja ein echtes Informationstransfermedium. Eine Diskussion, die aus der Wissenschaft mit zehn, zwanzig oder dreißig Jahren Verspätung in die breite Öffentlichkeit schwappt: der typische Gang von Begrifflichkeiten und Phänomenen, die gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch wirken. Die breite Debatte in der Öffentlichkeit fügt den wissenschaftlichen Verästelungen noch einige neue hinzu, die wieder von der Wissenschaft aufgegriffen werden, der Begriff der Wissensgesellschaft wird zum allgemein verwendeten Schlagwort. Streng genommen ist es schon die neue Wissensgesellschaft (Wissensgesellschaft 2.0), vernetzter, flexibler als das Ursprungsmodell, das noch die analoge Gesellschaft als Role model nutzte.

In Teilen ist sie immer noch Zukunftsmusik: In der neuen Wissensgesellschaft macht eine Wirtschaft sich das Potenzial der Wissenschaft besser nutzbar und eine Wirtschaft weiß ihre Entscheidungen durch unabhängigen und klugen Rat von Experten abgesichert. Vorbei wären dann die Zeiten, die mein Kollege Dr. Christophe Fricker beschrieben hat: "Die Wissenschaft hat Angst vor der Nützlichkeit, die Wirtschaft hat Angst vor der Nutzlosigkeit der Wissenschaft."**** . Es geht nicht um den Standard-Wissenstransfer von Spinn-Off zu Entwicklungsabteilung, sondern um flexibles Wissen für den Geschäftsalltag.

Peer-to-Peer statt Face-to-Face: Wissenstransfer heute

Denn der Austausch von Wissen war stets lebendig. Wir haben eine konkrete Frage und möchten eine konkrete Antwort von jemandem, dem wir – aufgrund seiner Expertise – vertrauen. Das 21. Jahrhundert ist mittlerweile alt genug, um die neuen Vernetzungsmethoden für unsere Zwecke in verschiedenen einzusetzen. Wertvoller Wissenstransfer (im pragmatischen Berufskontext) funktioniert heute eben auch Peer-to-Peer statt Face-to-Face. Wir wollen wissensbasiert arbeiten, weil wir uns nicht blamieren möchten. Aber wir wollen, und können, nicht jedes Wissensgebiet, das wir neu erobern, bis in alle Tiefen durchdringen. Wann auch? Wie auch? Warum auch? Wir möchten externes Wissen anzapfen und für unser Projekt weiterverwerten. Und zwar genau dieses Wissen, das wir brauchen. Nicht mehr und nicht weniger. Sven G. Janszky beschreibt es schön als "Patchworkidentitäten"*****, die neue projektive Berufswelt, die uns erwartet. Dazu passt auch der projektive Einsatz von Expertise: man muss eben den richtigen kennen, der einem weiterhelfen kann. Der Trend geht hin zum flexiblen Wissen.

Auf diesem Ansatz basiert die Arbeit von NIMIRUM, das über 200 Experten zu allen wichtigen Themen projektweise vermittelt. Das Expertennetzwerk von NIMIRUM funktioniert Peer-to-Peer: jemand hat eine Frage, der andere hat eine Antwort. In der Frage steckt bereits die Antwort – für beide: der Experte lernt, welches Wissen wirklich wichtig ist. Der Mitarbeiter aus Agentur, Unternehmen oder Institutionen erhält eine konkrete Antwort. Wir vermitteln zwischen beiden und sichern Verständlichkeit, Format und Umfang für den jeweiligen Auftrag. Der Experte filtert Relevantes und gibt Orientierung. Der Auftraggeber kann mit mehr Wissen weiterarbeiten, zum Beispiel für den perfekten Pitch.

Autorenhinweis

© Anja Mutschler, NIMIRUM, Mai 2013. Weitere Abdruckgenehmigungen werden auf Anfrage gern erteilt. Kontakt: am@nimirum.info oder 0341-58068073.

Fußnoten

* Natürlich werden Sie gleich nachsehen, wer das berühmte Bonmot "Wissen ist Macht" in die Welt gesetzt hat. Und Sie werden es herausfinden. Aber welche Partei mit einem abgewandelten Leitspruch im 19. Jahrhundert damit Wahlwerbung machte, ist schon schwieriger herauszufinden. Und was das mit zwei "Studenten" in Oxford zu tun hat, möglicherweise auch. Schreiben Sie mir.

** Der psychologische Seiteneffekt des Expertentums ist nicht zu vernachlässigen. Deutschland ist eine Expertenrepublik, ein Experte ist eine vertrauenswürdige Persönlichkeit. Wahrscheinlich wird nicht zwischen Experte und Experte unterschieden, aber beeindruckend war der deutliche Abstand doch, den das Trust Barometer 2013 von Edelman aufzeigte.

*** Face-to-Face-Kommunikation wird in der "Media Naturalness Theory" (2005) von Ned Kock als die einzig wahre Form des Wissenstransfers gewertet. Auch die Wissensmanagement-Branche kommt nach einer Phase komplexer technischer Ansätze zurück auf kommunikative Ansätze, Wissen zu er- und behalten, z.B. „Knowledge Champions“ im Betrieb etablieren. Die weise Frau am Lagerfeuer und der Fachexperte haben demnach mehr gemeinsam, als man meinen möchte: der, der mehr weiß, möchte auf Augenhöhe angesprochen werden, sein Wissen hat einen (nicht googlebaren) Wert für das Gegenüber, sein Wissen ist wichtig für den anderen.

**** Der Essay "Orientierungswirtschaft" beschäftigt sich mit einer kooperativen Zukunft zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Das Manuskript können Sie hier zur Veröffentlichung anfragen.

***** Viel Lesenswertes über neue Arbeits- und Geschäftswelten ist von Sven Gabor Janszky verfasst worden, die These vom Leben wie ein Flickenteppich gehört dazu.


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Die Digitalisierung überrennt Gesellschaft, Unternehmen und jeden Einzelnen von uns mit unvorstellbarer Dynamik und Wucht. Während manche Auswirkungen in unserem Alltag sichtbar und spürbar sind, bleibt vieles andere vage und im Verborgenen. Das Bild eines Eisbergs beschreibt diese Situation treffend. Wir sehen v. a. das, was über der Wasseroberfläche zu erkennen ist. Das jedoch, was unterhalb des Wasserspiegels verbleibt, ist weitestgehend unbekanntes Land. Dieses unbekannte Land greift das Blog „Ereignishorizont Digitalisierung“ auf. Es geht um Neuland-Missverständnisse, Gar-Nicht-So-Weit-Weg-Zukunftsfantasien und What-the-Fuck-Momente. Sicher selektiv. Immer auch subjektiv! Besondere Zielgruppe sind Entscheider und Gestalter der Digitalisierung und Digitalen Transformation.


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